Letzte Aktualisierung: 01. Dezember 2005

Die Geschichte der
Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen


Was wäre gewesen, wenn...


...das Deutsche Reich im Jahre 1914 nicht in den Krieg gezogen wäre (oder ihn gar gewonnen hätte)?

Darüber zu spekulieren ist müßig, aber nicht lohnenswert! Eines dürfte man als wahrscheinlich ansehen: Die Länderbahnen wären noch einige Zeit über den 01. April 1920 hinaus eigenständig und die Fürsten wohl noch einige Jahre an der Macht geblieben.

Und das Bahnnetz in Bayern?

In einer "Denkschrift über den Ausbau des bayerischen Bahnnetzes" der bayerischen Staatsregierung - welche am 30.Januar 1920 dem bayerischen Landtag vorgelegt wurde
(also nur 2 Monate vor der "Verreichlichung" der Bayerischen Staatseisenbahnen, das Wort "königlich" war bereits im November 1918 zusammen mit dem König Ludwig III. abhanden gekommen) - wurde eine Liste von Bahnstrecken lokaler Bedeutung, welche von der Staatsregierung als bauwürdig erachtet wurden, aufgeführt.

In der 35. öffentlichen Sitzung des Bayerischen Landtages am 30. Januar 1920 gab der Staatsminister von Frauendorfer an, warum die bayerische Staatsregierung trotz der bereits laufenden Verhandlungen über die Verreichlichung der deutschen Länderbahnen zum 01. April 1920 diese Denkschrift im Landtag diskutiert wissen wollte:

"...
Die Staatsregierung beabsichtigt, noch vor dem 1. April dieses Jahres, dem voraussichtlichen Zeitpunkt der Eisenbahn=Verreichlichung, dem Landtage eine Vorlage über den Bau neuer Lokalbahnen zugehen zu lassen, allerdings nicht zu dem Zwecke, um vom Landtage die Mittel für die Ausführung zu fordern, sondern um ihm Gelegenheit zu geben, sich noch vor der Verreichlichung über die zunächst als bauwürdig zu erachtenden Bahnlinien auszusprechen. An der Hand dieser Vorlagen wird die Regierung sich dann wegen der Erbauung dieser Bahnen an das Reich wenden.

Was den Umfang der Vorlage anlangt, so gedenken wir ihn so zu bemessen, als wenn die bayerischen Staatseisenbahnen noch selbständig wären und der Bayerische Landtag hierfür die Mittel noch zu genehmigen hätte. Hier kommt in Betracht auf der einen Seite, daß der bayerische Lokalbahnbau noch nicht als abgeschlossen gelten kann, daß seit den letzten Jahre vor dem Kriege Mittel für die Erweiterung des Bahnnetzes nicht mehr gefordert oder bewilligt wurden und daß noch zahlreiche Bestrebungen vorliegen, die mit Recht der Verwirklichung harren.

Andererseits ist aber auch zu betrachten die außerordentlich üble, um nicht zu sagen verhängnisvolle finanzielle Lage von Staat und Reich, besonders im Eisenbahnwesen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich ihnen mitteile, daß die preußischen Eisenbahnen für das Jahr 1919 mit einem Defizit von 6 Milliarden Mark und die bayerischen Eisenbahnen mit einem Defizit von gegen 600 Millionen Mark abschließen.
..."

Bei den o.a. Geldbeträgen ist zu beachten, daß die katastrophale Inflation erst im Jahre 1922 begann und im Jahre 1923 ihren Höhepunkt fand!

Die Denkschrift unterteilt die gewünschten Linien in 3 Gruppen. Die eigentliche Diskussion fand im zuständigen Ausschuß statt, der in der 56.
öffentlichen Sitzung des Bayerischen Landtages am 27. März 1920 folgenden Antrag einbrachte:

"...
Der Landtag wolle beschließen, den Vorschlägen in der Denkschrift über den Ausbau des bayerischen Bahnnetzes zuzustimmen mit nachstehenden Änderungen:

1. Die Linie Beilngries - Kinding mit dem Umbau der Schmalspur von Kinding nach Eichstätt ist unter die "Übersicht der Bahnlinien, deren Bauwürdigkeit die bayerische Staatsregierung anerkennt und für deren baldige Erbauung ein dringliches Bedürfnis gegeben ist" als 7a aufzunehmen.
2. Die Bahnlinie Thannhausen (Mindel) - Kirchheim ist in die Gruppe II der Denkschrift einzureihen.
3. Der Vortrag zu Abschn. III Nr. 15 (Seite 9) "Treuchtlingen - Rennslingen" ist abzuändern in "Treuchtlingen - Roitenbach - Altdorf".
..."

Dem Antrag des Ausschusses wurde entsprochen.

Die Denkschrift umfaßte nun in einer 1. Gruppe 12 neue Bahnen von 223,6 km Länge, darunter die einspurige Hauptbahn Bad Kissingen - Salz (Neustadt a. S.) mit 23,4 km Länge.
Von diesen 12 Strecken der Gruppe 1 wurden bis 1928 nur die Strecken Zwiesel - Bodenmais, Eisenberg - Enkenbach und Beilngries - Kinding in Angriff genommen. Aber ihr Bau mußte infolge der Finanznot der Reichsbahn bald wieder eingestellt werden.

Jedoch hat das Deutsche Reich der Nachfolgerin der Reichsbahnverwaltung, der Deutschen Reichsbahn=Gesellschaft, die Geldmittel zur Vollendung der Bahnen Zwiesel - Bodenmais und Eisenberg - Enkenbach zur Verfügung gestellt, während die Bahnstrecke Beilngries - Kinding durch die
Deutsche Reichsbahn=Gesellschaft selbst fertiggestellt werden mußte.

In einer 2. und 3. Gruppe sind weitere 49 als bauwürdig erachtete Lokalbahnen aufgeführt mit einer Gesamtlänge von etwa 1.000 km.

Das Reich hat zwar nach dem Schlußprotokoll zu § 18 des Staatsvertrages vom Jahre 1920 die Verpflichtung übernommen, bei der Auswahl zu bauender Nebenbahnen im Rahmen der allgemeinen Nebenbahnpolitik auf die bisherigen Absichten der Länder möglichst Rücksicht zu nehmen. Es hatten sich aber die wirtschaftlichen Verhältnisse in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts insbesondere wegen des Wegfalls der Entfernungszuschläge und die Erhöhung der Baukosten derart verändert, daß die übrigen in der Denkschrift aufgeführten Bahnen, in das Netz der Deutschen Reichsbahn=Gesellschaft eingegliedert, nicht mehr für bauwürdig erachtet wurden und mit der Fortführung der bisherigen bayerischen Lokalbahnpolitik durch das Reich nur mehr in geringem Umfange zu rechnen war.

Nicht zu vergessen ist aber auch die Tatsache, daß sich der Einsatz von Kraftfahrzeugen sowohl für den Waren- als auch den Personentransport gerade im 1. Weltkrieg bewährt hat und durch die Reparationsleistungen mit Lokomotiven und Eisenbahnwaggons durch das Deutsche Reich (und seine Bundesstaaten) an die Siegermächte des 1. Weltkriegs, der Siegeszug von PKW und vor allem LKW seinen Anfang nahm, wenn auch das Thema nicht so neu war.

Und wer weiß noch, daß bereits am 1. Oktober 1898 der erste Motorbus im Auftrag der königlich-württembergischen Postverwaltung über die für damalige Verhältnisse beachtliche Distanz von 30 km von Bad Mergentheim nach Künzelsau seinen Dienst aufnahm und mit 10PS und einer Maximalgeschwindigkeit von 20 km/h zehn Fahrgästen auf lederbezogenen Sitzen Platz bot. Allerdings wurde dieser Betrieb bereits am 15. Juli 1899 wegen technischer Probleme wieder eingestellt - die Pferde hatten noch einmal gewonnen!

Bayern war es letztendlich vorbehalten, die in Deutschland erste funktionierende sogenannte Kraftpostlinie zu eröffnen: Ab dem 1. Juni 1905 wurde der Linienverkehr auf der Strecke Bad Tölz - Lenggries aufgenommmen - und der Niedergang der berittenen Posten war besiegelt.

Erweiterung_Bayerisches_Eisenbahnnetz_rechtsrheinisch
Linienplan mit den gewünschten Erweiterungen im
Lokalbahnnetz im rechtsrheinischen Bayern

Erweiterung_Bayerisches_Eisenbahnnetz_linksrheinisch
Linienplan mit den gewünschten Erweiterungen im
Lokalbahnnetz in der bayerischen Pfalz


Quellen:    Studiengesellschaft für Verkehrswege lokaler Bedeutung - Technisch=wirtschaftlicher Ausschuß: Bau und Betrieb neuer Verkehrswege lokaler Bedeutung in Bayern; erschienen November 1928 bei Carl Aug. Seyfried & Comp. (Carl Schnell u. Söhne), München
                Stenographische Berichte der Verhandlungen des bayerischen Landtages, Sitzungsperiode 1919/20
                dtv-Atlas zur Weltgeschichte - Band 2; erschienen 1984 bei Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München; ISBN 3-423-03002-X
                Archiv für deutsche Postgeschichte: Heft 2/1989; erschienen 1989 bei der Gesellschaft für deutsche Postgeschichte e.V., Frankfurt/Main; ISSN 0003-8989

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