Letzte Aktualisierung: 26.März 2006

Die Geschichte der
Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen


Mangelwirtschaft
in der Nachkriegszeit

Es ist schwierig für Menschen unserer Zeit, in der bei den meisten Menschen eher der Überfluß herrscht (zumindest in Westeuropa), sich gedanklich in die Zeit nach dem I. Weltkrieg zurück zu versetzen.

1918: Der Krieg ist aus, die Monarchen ins Exil geflohen, die politische Lage ist ausgesprochen unübersichtlich, der "politische Kampf" fordert beinahe täglich Tote auf den Straßen des Deutschen Reiches: es herrscht in vielen Städten Bürgerkrieg.

In München z.B. wurde Ende April 1919 der Centralbahnhof durch die "Weißen Truppen" in Gestalt des "Freikorps Görlitz" besetzt und der Zugverkehr wurde für einige Tage aus Angst vor aufflammenden Kämpfen zwischen den "Weißen Truppen" und der "Roten Armee" eingestellt.

Nach dieser chaotischen Phase und einer gewissen "Normalisierung" der Verhältnisse beherrscht jedoch noch lange Jahre der Mangel an Arbeit, Nahrung, Brennstoffen u.v.m. den Alltag unserer Vorfahren.

Aus diesem Grunde sollen an dieser Stelle Zeitgenossen zu Worte kommen:

Im ersten Teil stellt der Landtagsabgeordnete Dr.Steinbeis (Deutsche Demokratische Partei) in der 39. öffentlichen Sitzung des Bayerischen Landtags am 13.Februar 1920 eine Anfrage an die Bayerische Regierung zu den "Aussichten des bayerischen Verkehrs". Auf diese Anfrage antwortet der Herr Staatsminister von Frauendorfer.

Im zweiten Teil zitiere ich aus einem Vortrag, den der Ministerialrat Moeller anläßlich der vom 4. - 5. November 1920 stattfindenden ersten Sitzung des Sachverständigenbeirats beim Reichsverkehrsministerium im Sitzungssaal des Potsdamer Bahnhofs in Berlin gehalten hat.

39. öffentliche Sitzung des Bayerischen Landtages vom Freitag, 13. Februar 1920:
Anfrage der Abgeordneten Dr.Steinbeis und Genossen betreffend Aussichten des bayerischen Verkehrs (Beil. 925).

     ...
     Dr. Steinbeis (Deutsche Dem. P.): Die Interpellation lautet:
          Ist die Staatsregierung bereit, dem Landtag alsbald eine umfassende Darlegung über die Aussichten des bayerischen Verkehrs für die nächste Zeit zu geben?
     Präsident: Darf ich die Frage an die Staatsregierung richten, ob sie bereit ist, die Anfrage zu beantworten?
     Staatsminister von Frauendorfer: Ich bin bereit die Anfrage zu beantworten.
     Präsident: Die Staatsregierung erklärt ihre Bereitwilligkeit; Herr Kollege Dr. Steinbeis vermittelt die Begründung.
     Dr. Steinbeis (Deutsche Dem. P.): Meine Damen und Herren! Vor etwa einem halben Jahre im Juli 1919 hat der Landtag in Bamberg sich in einer eingehenden Aussprache mit der Lage des Verkehrs befaßt. Die Verhältnisse sind seitdem leider nicht besser geworden, eher war das Gegenteil der Fall und die mit Vorschriften in steigender Schärfe eintretenden Verkehrssperren haben im ganzen Volke die Befürchtung wachgerufen, daß ein vollständiges Erlahmen des Verkehrs über kurz oder lang eintreten wird. Der ist aber eine der wesentlichen Grundlagen unserer Existenz, und es erscheint mir deshalb wünschenswert und notwendig, daß von Zeit zu Zeit durch eingehende Aussprachen an dieser Stelle, vor allem durch ausführliche Mitteilungen der Verkehrsverwaltung über die Verhältnisse der Gegenwart und die Aussichten für die Zukunft, soweit sich das übersehen läßt, mögliche Beruhigung geschaffen wird.
     ...
     Man kann, wenn man gerecht sein will, ruhig zugeben, daß nach allen Nachrichten die Verkehrslage in den anderen Staaten, in Frankreich und Italien, auch nichts weniger als rosig ist. Ziehen wir aber die deutschen Länder, die an uns anliegen, zum Vergleiche heran, so ist der große Unterschied, besonders im Eisenbahnverkehr, der schon im letzten Jahre Anlaß zu lebhaften Klagen gab, auch heute noch zu bemerken. Bayern hat bis jetzt allein den zweifelhaften Vorzug gehabt, vollständige Verkehrssperren für längere Zeit zu haben. Schlechter als bei uns ist es nur, wenn wir den Blick nach Osten, nach Österreich wenden; aber das scheint mir ein magerer Trost.
     Wir wissen, daß das Grundübel beim Eisenbahnverkehre die fehlenden Kohlen sind. Nur wird man sich als Laie nicht klar darüber, was uns eigentlich fehlt, ob es daran fehlt, daß nicht genug Kohlen gefördert werden, oder daran, daß der Abtransport nicht möglich ist. Man hört doch immer wieder von riesigen Haldenbeständen, die sich bei den Zechen angesammelt haben und die der Beweis dafür wären, daß das Verkehrswesen wenigstens unter dem Abtransport, nicht unter der Förderung zu leiden hat. Kann die Verkehrsverwaltung hierüber Aufschluß geben? Der Herr Verkehrsminister sagte im Juli, daß er froh wäre, wenn er täglich 4 000 Tonnen bekommen könne. Wie groß ist dagegen der tatsächliche Eingang? Ist es gelungen, während der letzten Verkehrssperre auch nur einigermaßen Vorräte anzusammeln, die wenigstens über kleine Störungen in der Anfuhr hinwegkommen lassen? Bekommt die bayerische Verkehrsverwaltung die ihr zustehenden und zugesagten Quantitäten richtig und gleichmäßig zugeteilt?
     ...
     Hier muß noch ein Punkt zur Sprache gebracht werden. Man hört immer wieder, daß enorme Schiebungen mit Kohlen stattfinden. So soll ein Monatsbedarf der ganzen deutschen Bahnen einfach spurlos verschwunden sein. Hat die bayerische Verkehrsverwaltung unter derartigen Vorkommnissen auch zu leiden und welche Vorkehrungen konnten getroffen werden, um sich dagegen zu schützen? Schließlich möchte ich auch eines Umstandes noch kurz Erwähnung tun, den ich an dieser Stelle schon einmal berührte; das sind die Klagen über die schlechte Qualität der Kohlen. Wenn von den 13 000 Wagen, die nach Calwer anstatt Kohlen täglich Steine in Deutschland spazierenfahren, nur 1 000 Wagen aus Bayern kommen, so sind das schon mindestens 12 000 Tonnan, also der dreifache Betrag dessen, was der Herr Verkehrsminister als den täglichen Bedarf bezeichnet. Könnten die Verkehrsmittel durch besseres Sortieren der Kohlen entlastet werden, so wäre ein großer Teil der Kalamität der Kohlenbeschaffung für die Bahnen allein dadurch behoben.
     Nach den Kohlen und, wie wir gesehen haben, vielleicht in noch stärkerem Maße als bei diesen, ist die Ursache unserer Verkehrsnot in der geringen Zahl und dem schlechten Zustand unserer Verkehrsmittel, der Lokomotiven und Wagen zu suchen. Wie steht es mit dem Neubau von Lokomotiven? Geht die Anfertigung und Ablieferung derselben in dem vorgesehenen Maße vor sich? Wenn nicht, woran liegt der Fehler? Vor allem aber, wie steht es mit dem Reparaturstande der Lokomotiven? Man hört immer wieder, daß sich dieser erhöhe statt vermindere. Wenn das so ist, woran liegt der Fehler? ... Es wird mir aber doch gesagt, daß eine Werkstatt, die heute 150 Mann Belegschaft hat, noch nicht so viel Leistung aufbringe, wie früher mit 30 Mann. Wenn das richtig ist, dann wäre es doch wohl an der Zeit, auch bei uns mit aller Energie auf Besserung bedacht zu sein.
     ...
     Haben sich meine bisherigen Ausführungen in der Hauptsasche auf das Material bezogen, das dem Verkehr dient, so möchte ich nun noch mit einigen Sätzen auf den noch wichtigeren Teil, die lebendigen Kräfte, zu sprechen kommen. Die Verkehrsverwaltung ist ja das größte wirtschaftliche Unternehmen, das wir in Bayern haben, und bei ihr, wie bei jedem Unternehmen, ist das Wichtigste die Organisation, wie die Räder ineinandergreifen und daß sie ineinandergreifen, der lebendige Geist, der einheitliche Wille, der das Ganze durchdringt. Wer heute einem, wenn auch nur kleinen, Unternehmen vorsteht, weiß wie unendlich schwer es geworden ist, einem solchen einheitlichen Willen Geltung zu verschaffen, die Kräfte zum Zusammenarbeiten zu bringen in einer Zeit, da alles auseinander strebt, alles zerklüftet und zersetzt ist, wie schwer es auch ist, Leistungen zu erreichen, wo alles müde und abgenutzt ist durch jahrelange höchste Anstrengung. ...
     ...
     Staatsminister von Frauendorfer: ...
     Die Betriebslage in Bayern wird zurzeit immer noch von dem Mangel an Dienstkohlen, Lokomotiven und Wagen nachteilig beeinflußt. Was diesen Mangel betrifft, so kann ich besonders daran erinnern, wie sehr die deutschen und auch die bayerischen Eisenbahnen geschwächt wurden durch die enormen Abgaben von Fahrmaterial an die Entente. Wir sind noch nicht ganz verschont davon; wir haben nach dem Friedensvertrage noch 110 Lokomotiven von Deutschland an Esthland und Littauen abzuliefern. Daran wird wohl auch Bayern noch beteiligt sein, zwar mit keiner großen, aber unter den heutigen Verhältnissen immer noch empfindlichen Ziffer.
     Die Personenverkehrssperre vom 5. bis 15. November vorigen Jahres hat in der Dienstkohlenversorgung keine Besserung gebracht, aber immerhin die gesamte Betriebslage etwas erleichtert. Diese Erleichterung hielt im allgemeinen auch bis zum Ende des vorigen Jahres an. Nur im östlichen Bayern verschlechteret sich die Betriebslage stetig infolge schleppender Abnahme der stark angewachsenen Transporte nach Österreich über Passau und zwang dazu, die bereits seit Oktober bestehende Wagenladungssperre für Sendungen nach Österreich über Passau teilweise auch auf Lebensmittelsendungen auszudehnen.
     Die Betriebslage war auch zu Anfang Januar im allgemeinen noch flüssig, als infolge ganz unzureichender Zufuhr die ohnedies knappen Bestände an Lokomotivkohlen derart zurückgingen, daß ab 5. Januar wegen geradezu katastrophalen Kohlenmangels der gesamte Schnellzugverkehr eingestellt, der Personenzugsverkehr auf Nah- und Lebensmittelverkehr eingeschränkt und schließlich vom 15. Januar an auch der Güterzugsverkehr auf die Beförderung der lebenswichtigen Güter beschränkt werden mußte.
     Als es dann wieder gelungen war, den Dienstkohlenvorrat auf einen mehrtägigen Bedarf zu bringen, wurde vom 29. Januar ab der Personen- und Güterzugsverkehr in dem vor der Sperre bestandenen Umfange wieder aufgenommen.
     Für die Würdigung der Gründe, die die außerordentliche Kohlennot bei den bayerischen Staatseisenbahnen herbeigeführt haben, kommt folgendes in Betracht:
     Die bayerische Staatseisenbahnverwaltung bezieht die von ihr benötigten Lokomotivkohlen zu einem Drittel aus Oberschlesien und zu zwei Dritteln aus dem Ruhrgebiete. Die Eingänge an böhmischer Stein- und Braunkohle für Lokomotivfeuerung waren in Friedenszeiten nicht unerheblich, beschränken sich aber jetzt auf Braunkohle in verhältnismäßíg geringen Mengen.
     Die schlesische Kohle wird nach Bayern auf einem Bahnwege von etwa 600 Kilometer Länge durch Gebiete mit regstem Verkehr und großen Industrieen befördert. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen in den östlichen Bezirken gehört die Wegnahme von Kohlensendungen durch mehr oder minder befugte Hand zugunsten eines notleidenden öffentlichen oder privaten Betriebs leider nicht zu den Seltenheiten. Der Einfluß der Polen im schlesischen Kohlengebiete zeitigt dort eine ständige Unruhe unter den Bergarbeitern und führt zu häufigen Streiken und Förderausfällen, so daß, ganz abgesehen von dem weiten Zufuhrwege, die Verlässigkeit der schlesischen Kohlenzufuhr schwer leidet.
     Die Kohlenzufuhr aus dem Ruhrgebiete nach Süddeutschland bewegte sich schon in Friedenszeiten fast ausschließlich auf der Rheinwasserstraße. Die für das rechtsrheinische Netz bestimmten Ruhrkohlen werden in Gustavsburg von den Rheinkähnen auf Bahnwagen umgeschlagen und laufen über Aschaffenburg nach Bayern. Die Kohlen für die Rheinpfalz gehen in Ludwigshafen vom Rhein auf den Bahnweg über. Ein nicht unerheblicher Teil des pfälzischen Kohlenbedarfes wurde in Friedenszeiten und auch noch während des Krieges aus dem Saargebiete gedeckt; jetzt ist die Pfalz infolge des Eingreifens der Entente fast ausschließlich auf Ruhrkohle angewiesen. Da die Rheinwasserstraße im Winter wegen Wassermangels, Eisganges und Nebels nur sehr unregelmäßig befahren werden kann, hat die bayerische Staatseisenbahnverwaltung in Friedenszeiten alljährlich bis spätestens November einen Ruhrkohlenvorrat für mindestens drei Monate angesammelt und sich dadurch von der Unzuverlässigkeit der Rheinwasserstraße unabhängig gemacht. Während des Krieges und auch noch im Jahre 1918 war es möglich gewesen, vor Eintritt des Winters im rechtsrheinischen Bayern die nötigsten Vorräte anzusammeln. Die unregelmäßigen Förderverhältnisse und die häufigen Ausstände im Ruhrrevier bei den Gruben, den Bahnen und den Umschlaganlagen haben es jedoch unmöglich gemacht, aus den geringen Mengen, die von der deutschen Kohlenförderung nach Abzug der Pflichtlieferungen an die Entente für Deutschland verblieben, die deutschen Eisenbahnen im Jahre 1919 mit den nötigsten Vorräten für den Winter 1919/20 zu versehen. Die Unzuverlässigkeit der Kohlenbeförderung auf dem Rheine wurde seit Eintritt des Waffenstillstandes noch wesentlich dadurch gesteigert, daß die Leitung der Rheinschiffahrt seither praktisch in den Händen der Entente liegt und die Bevollmächtigten der Entente ohne Rücksicht auf den deutschen Bedarf die von der Entente benötigten Mengen den Rheinkähnen entnehmen.
     ...
     ...Als in Baden in der zweiten Novemberwoche der Kohlenvorrat nur noch für zwei Tage reichte und Württemberg seinen Vorrat bedenklich erschöpft hatte, während Bayern noch über einen zwölftägigen Vorrat verfügte, leitete der Reichskohlenkommissar eine Notstandsaktion für die badischen und württembergischen Staatsbahnen ein, der sich planmäßig eine ebensolche für die bayerische Staatsbahn anschließen sollte. Die für Baden und Württemberg bestimmten Mengen erreichten noch ihr Ziel; dann trat Hochwasser auf dem Rhein ein - ein Hochwasser, wie es seit Menschengedenken nicht mehr zu verzeichnen war - und verhinderte die Zufuhr für Bayern. Als sodann der an sich schon überlastete Bahnweg zur Beförderung der für Bayern bestimmten Kohlenladungen freigemacht werden sollte, versagte auch dieser infolge der Eisenbahnerstreike im Ruhrgebiet. Der Streik dehnte sich unerwartet rasch soweit nach Westen aus, daß eine letzte Notstandsaktion, die für Bayern Kohlenzüge auf den Umwegen über Soest - Gemünden vorsah, nicht mehr wirksam werden konnte. Gleichzeitig setzten in Schlesien Streike ein und es versagte daher  für Bayern auch die schlesische Zufuhr. Da unter dem Zusammentreffen dieser Umstände Bayern auf ausreichende Zufuhren nicht rechnen konnte und unterdesen der bayerische Vorrat nahezu völlig aufgebraucht war, mußte die Eisenbahnverwaltung den gesamten Betrieb auf das äußerste einschränken.
     ...
     Was den Lokomotivreparaturstand betrifft, so konnte er, ..., trotz des Wachsens der Leistungen der Staatsbahnwerkstätten und trotz Heranziehung von acht Privatfirmen, noch nicht wesentlich abgemindert werden. ... Auch durch die für die nächsten Monate in Aussicht stehende Anlieferung von neuen sehr leistungsfähigen Güterzugslokomotiven wird in der Lokomotivgestaltung allmählich eine Besserung erzielt werden. ...
     Auch der Wagenmangel ist immer noch empfindlich. In erster Linie wird zurzeit der Bedarf an gedeckten Wagen für phosphorsäure- und stickstoffhaltige Düngemittel gedeckt. Die übrigen Anforderungen an gedeckten Wagen können zwar zu etwa 92 Prozent, jene an Holzwagen aber nur zu 40 Prozent befriedigt werden. ... Der Bedarf an offenen Wagen für Brennstoffe (Kohlen, Torf, Brennholz) wird voll gedeckt, und zwar sowohl für die oberbayerischen Gruben wie auch für die oberpfälzischen bei Schwandorf und Schwarzenfeld. ...
     ... Für andere Zwecke als den Brennstoffversand kann der Bedarf von offenen Wagen zurzeit noch nicht einmal zur Hälfte gedeckt werden.
     Die zur Abminderung des Wagenreparaturstandes getroffenen Maßnahmen (Heranziehung von 15 Privatfirmen, Verbesserung der eigenen Werkstätteneinrichtungen) haben auch in der letzten Zeit günstig gewirkt. ...
     ... Die Einheitlichkeit der Betriebsführung auf den deutschen Staatseisenbahnen hat mit der im November vorigen Jahres erfolgten Errichtung der Generalbetriebsleitung Süd in Würzburg weitere Fortschritte gemacht. Das Gebiet dieser Generalbetriebsleitung umfaßt außer den bayerischen, württembergischen und badischen Eisenbahnen die Bezirke der preußischen Eisenbahndirektionen Erfurt, Frankfurt a.M. und Mainz. ...
     ...
     Der Herr Interpellant hat auch die Frage gestellt, wie es mit der Beschaffung von neuen Lokomotiven und neuen Wagen stehe. In Bestellung sind: an neuen Lokomotiven 122 Güterzuglokomotiven der Gattung G 3/4 und 40 Güterzuglokomotiven der Gattung G 5/5, an Personenwagen 500 Wagen III. Klasse, dann an Güterwagen 2 472 Wagen verschiedener Gattungen. Das ist eine ganz ansehnliche Zahl. Abgeliefert wurden: 1918 76 Lokomotiven, kein Personenwagen, 2 177 Güterwagen, 1919/20 118 Lokomotiven, kein Personenwagen, 2 825 Güterwagen. ...




"Die Wirtschaftslage der Reichseisenbahnen" (Vortrag des Ministerialrats Moeller):

     "Die deutschen Eisenbahnen waren in langen Friedenszeiten Deutschlands Stolz. Die Schnelligkeit und Pünktlichkeit der Beförderung, die den Wirtschaftsbedürfnissen auf das sorgfältigste angepaßten Tarife bildeten eine starke Stütze der Volkswirtschaft. In vielen Ländern waren die Eisenbahneinnahmen auch das Rückgrat der Staatsfinanzen. Wie allen deutschen Wirtschaftszweigen hat auch der Krieg der Eisenbahn schwere Wunden geschlagen.
     Fast 7 000 km an Strecken sind verloren, 150 000 Güterwagen, 10 000 Personen- und Gepäckwagen und 5 000 der besten Lokomotiven haben wir beim Waffenstillstand an den Feindbund abtreten müssen. Material und Personal sind durch die übermenschlichen Anstrengungen in der Kriegszeit verschlissen und ermattet.
     ...
     Gegen Ende des Krieges 1918/19 ergab die Gesamtheit der deutschen Staatseisenbahnen zum ersten Male seit ihrem Bestehen einen Fehlbetrag, der sich auf 1 768 Millionen bezifferte und 1919 auf 4,8 Milliarden stieg, Im Jahre 1920 wird der Fehlbetrag im ordentlichen Haushalt auf 14,4 Milliarden veranschlagt.
     ...
     Zunächst ergibt sich die Frage: In welchem Zustand befindet sich der Betriebsapparat? Ich möchte mich hierzu nur ganz kurz mit einigen Stichworten äußern. Die Strecken und stationären Anlagen sind in leidlicher Ordnung. Reparaturen und Gleisumbau sind in den letzten Kriegsjahren und auch noch später wegen Materialmangels zwar zurückgeblieben, der Gesamtzustand jedoch kann als betriebssicher bezeichnet werden.
     Wie steht es mit den Betriebsmitteln? Die ungeheure Schwächung des Lokomotivparks um 5 000 der stärksten und leistungsfähigsten Maschinen hat ihren Zweck, den Eisenbahnbetrieb für lange Zeit lahmzulegen, erreicht. Der Zustand der uns verbliebenen Maschinen ist schlecht. Sie haben während des Krieges stark gelitten durch übermäßige Inanspruchnahme, Ersatz der kupfernen Feuerbuchsen durch eiserne, Verwendung von minderwertigen Ersatzmetallen und Ersatzstoffen aller Art, insbesondere ungeeigneter Schmiermittel. Die Folge ist ein außerordentlich hoher Reparaturstand, statt 20% im Frieden stehen jetzt über 40% Lokomotiven in den Reparaturwerkstätten. Nur 13 000 Maschinen sind betriebsfähig, während vor dem Kriege über 17 000 Stück zur Verfügung standen.
     Ähnlich steht es mit den Wagen. Ganz besonders erschwerend für den Verkehr wirkt es, daß die Entente gerade diejenigen Gattungen abverlangt hat, die für die deutschen Verkehrsbedürfnisse besonders wichtig und unentbehrlich sind.
     ...
     Im allgemeinen ist die Wahrnehmung zu machen, daß der Betrieb etwas pünktlicher und regelmäßiger geworden ist. Es kommen zwar immer noch Verspätungen vor, sie sind aber doch wesentlich geringer und die Zahl der stillstehenden Züge hat sich verringert.
     ...
     Im Bergbau, der doch ohne Leerlauf in Vollbetrieb arbeitet, sind die Leistungen bekanntlich um mehr als 1/3 zurückgegangen. Es liegt dies, abgesehen von dem Achtstundentag, an Momenten, die in der allgemeinen Arbeitsstimmung liegen, vor allen Dingen in der mangelhaften Ernährung und der allgemeinen Schwächung der körperlichen und seelischen Kräfte.
     ...
     Der Ersatz und Ausgleich bei den einzelnen Dienststellen ist außerordentlich erschwert durch den Wohnungsmangel. Es ist nicht immer möglich, einen Überfluß [an Personal (Bem. J.Pepke)] von der einen Station nach einer anderen zu bringen, weil die betreffenden Beamten einfach vom Wohnungsamt den Bescheid bekommen, daß in absehbarer Zeit mit Wohnungsgelegenheit nicht zu rechnen ist.
     ...
     Das Durchschnittseinkommen betrug für 1913 auf 1 Kopf 1 932 Mark und ist im Jahre 1920 auf 13 117 Mark gestiegen.
     ...
     Noch gewaltiger ist das Anwachsen der sächlichen Ausgaben. Wenn ich die hauptsächlichen Posten herausgreifen darf, so betrug die Ausgabe für Kohlen im Jahre 1913 219 Millionen, im Jahre 1919 haben sie betragen 1,6 Milliarden, also ungefähr das 7 bis 8 fache. Im Jahre 1920 ist die Ausgabe geschätzt worden auf 4,35 Milliarden, also das 20 fache gegenüber den Kohlenausgaben in Friedenszeiten.
     Die Kosten der sonstigen Betriebsstoffe sind von 103 Millionen 1913 auf 931 Millionen 1920 angestiegen, die Kosten der baulichen Unterhaltung von 375 Millionen 1913 auf 3,75 Milliarden im Jahre 1920. Die Kosten des Oberbaumaterials allein sind von 141 Millionen 1913 auf 1,9 Milliarden 1920 gestiegen. An Kosten für die Unterhaltung und Ergänzung der Fahrzeuge und maschinellen Anlagen mußten aufgebracht werden: 1913: 376 Millionen, 1919: 2,7 Milliarden und 1920: 7,6 Milliarden; d.h. das 20 fache der Friedensausgaben. Allein die Beschaffung von Werkstoffen ist von 85 Millionen auf 1 843 Millionen gestiegen. Die Gesamtausgabe ist bei den sächlichen Aufwendungen von 919 Millionen 1913 auf 13 Milliarden 1920 gestiegen.
     ...
     Zunächst ist ein relativer Mehrverbrauch an Material festzustellen, insbesondere bei den Kohlen. Im Jahre 1913 haben wir auf 1 000 Lokomotivkilometer 14,40 t Kohle gebraucht, im Jahre 1919 20,85 t, also 45 % mehr gegenüber Friedensjahren; im Jahre 1920 haben wir veranschlagt einen Verbrauch von 19,85 t, das sind 38 % mehr als in Friedenszeiten.
     ...
     Woran liegt dieser starke Kohlenverbrauch? Meine Herren, es ist Ihnen ja allgemein bekannt, daß der Kohlenverbrauch relativ durchweg gestiegen ist. Mir ist von namhafter Seite vor etwa 3 bis 4 Monaten gesagt worden, es wäre durchschnittlich der Mehrverbrauch der Eisenindustrie auf 25 % des Kohlenbedarfs in Friedenszeiten emporgeschnellt. Dieser Mehrverbrauch wird im wesentlichen zurückgeführt auf die schlechte Kohlenqualität. Die Kohle wird nicht mehr so rein gefördert als früher. Jedenfalls ist eine schlechte Kohlenqualität überall festgestellt worden und allgemein anerkannt. Man kann zur Not mit guter Kohle eine schlechte Lokomotive führen, man kann auch mit schlechter Kohle eine gute Lokomotive leidlich feuern, wenn wir aber bei einer schlechten Maschine auch noch schlechte Feuerung haben, so ist ein stärkerer Mehrverbrauch an Kohle unausweichlich. Es scheint auch, als ob das Interesse des Personals an einem sparsamen Kohlenverbrauch gesunken ist und als ob die Verbrauchskontrolle nicht mehr so sorgfältig wie früher durchgeführt wird. Es wird notwendig sein, beides zu heben, insbesondere das Interesse des Personals an sparsamem Verbrauch vielleicht durch eine Gewinnbeteiligung am Ergebnis zu beleben.
     Trotz des relativen Mehrverbrauchs an Kohle und Öl - bei letzterem liegen die Verhältnisse ähnlich wie bei der Kohle - ist eine wesentliche Erhöhung der absoluten Verbrauchsmengen bei den meisten Materialien wegen der Minderung an Streckenlänge und Zugleistungen nicht eingetreten, der Verbrauch an Oberbaumaterial ist sogar zurückgegangen. Die Mehrkosten gegenüber den Friedensjahren sind ganz überwiegend auf die gewaltige Erhöhung der Preise zurückzuführen. Beispielsweise kosten nach dem Hauhaltsvorschlage für 1920 gegenüber 1913
          1 t Kohle                  etwa 19 mal soviel
      100 kg Petroleum             "    22  "      "
          1 t Schienen
                "    28  "      "
          1 t Eisenschwelle          "    31  "      "
          1 t Stabeisen                "    33  "      "
          1 t Feinblech                "    40  "      "
          1 cbm Eichenholz         "    38  "      "
während Lokomotiven auf das 17 bis 18 fache der Friedenspreise gestiegen sind. Der Preis einer Lokomotive beträgt heute 1,8 bis 2,0 Millionen.
     ...



Quellen: "Weichenstellungen - Eisenbahnen in Bayern 1835 - 1920"; Ausstellungskatalog der Staatlichen Archive Bayerns, herausgegeben von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns; ISBN 3-921635-65-9
             "Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Bayerischen Landtags. - Neununddreißigste öffentliche Sitzung. - Nr.39. - Freitag, den 13. Februar 1920"; Stenogr. Bericht d. Bayer. Landtags 1920, Bd. II, 39. Sitzung
             "Die Wirtschaftslage der Reichseisenbahnen - Vortrag des Ministerialrats Moeller beim Reichsverkehrsministerium in der am 4. und 5. November 1920 stattgefundenen Sitzung des Sachverständigenbeirats beim Reichsverkehrsministerium im Sitzungssaal des Potsdamer Bahnhofs in Berlin" vom 05.11.1920; Bayerisches Hauptstaatsarchiv in München; Signatur: MA 103936

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